dpa picture alliance wird volljährig
Wenn man als Mensch 18 Jahre alt wird, dann gilt man als volljährig, mit allen Rechten und Pflichten. Wie erwachsen ist denn die dpa-Tochter picture alliance mit 18 geworden? Was ist Neues in der Pipeline? Was bietet das neue Online-Portal?
Mit den beiden Geschäftsführern der Agentur, Petra Busch und Andreas Genz, sprach Stefan Hartmann.
- Pictorial: Petra Busch, erstmal: Herzlich willkommen! Ohne, dass wir diese Volljährigkeits-Metapher nun über Gebühr strapazieren wollen: Sie sind seit Sommer als Geschäftsführerin bei der picture alliance, haben Sie den Eindruck, in eine erwachsene Branche gekommen zu sein? Oder doch eher in eine dauer-pubertierende? Oder gar bereits vergreiste? Andreas Genz und auch ich, wir sind schon zu lange dabei, als dass wir noch Ihren klaren, frischen und unvoreingenommen Blick hätten!
Petra Busch: Ich denke gerne in Bildern. Lassen Sie mich zur Beantwortung Ihrer Frage auf ein Bild zurückgreifen. Wenn man eine Blumenwiese kultivieren möchte, erzeugt die Saat zunächst die ersten Blüten. Diese werden im Laufe der Zeit kräftiger, größer und schöner. Parallel dazu gesellen sich andere – vielleicht auch wilde Blüher und der Kampf um Boden, Wasser und Licht entwickelt sich. Wem es gelingt sich im Kampf um die Ressourcen zu entwickeln und hierüber zu beweisen bleibt. Die Analogie zum Bildmarkt, der mir ziemlich erwachsen erscheint, ist bestechend. Als Agentur müssen wir aktuell und auch in Zukunft unseren Platz behaupten und neue anziehende Ideen entwickeln und hierüber auch den ein oder anderen Wettbewerber verdrängen.
Pictorial: Gönnen Sie uns zur Begrüßung einige Worte zu Ihrer Person und Ihrem Werdegang? Wir sind doch neugierig!
Busch: Ich arbeite von jeher an der Schnittstelle zwischen den Medien und Kommunikationsverantwortlichen. Das hat mir immer Spaß gemacht und mich nie losgelassen. Aus dem Vertrieb eines internationalen PR-Dienstleisters kommend, habe ich für die dpa-Tochter news aktuell über 12 Jahre hinweg das Geschäft mit einer weltweiten Journalistendatenbank zur zweiten Säule des Geschäftsmodells entwickelt.
Dann kam zu meinem 50. Geburtstag der Ruf nach Berlin um das Geschäft mit klassischen Medienspiegeln für die Zukunft auszurichten.
Mit der Geschäftsführung der picture alliance bin ich in die dpa-Gruppe zurückgekehrt, in der ich immer gerne tätig gewesen bin. Dem Reiz, der vom ständigen Umbruch der Medien- und Kommunikationsbranche ausgeht, kann ich nur schwer wiederstehen.
- Pictorial: Andreas Genz, Sie können ja fast schon als Urgestein der Bilderbranche durchgehen. Als vormaliger Reuters-Mann, Global Head of Picture Sales, dann Managing Director picture alliance. Was kann und muss man als Bildagentur heute tun, um in der gegenwärtigen Situation Kundenbindung zu erzeugen oder auch zu halten? Der Bildpreis alleine kann es ja nicht sein.
Andreas Genz: Eine enge und vertrauensvolle Beziehung mit unseren Kunden ist uns besonders wichtig. Viele unserer Kunden arbeiten seit 18 Jahren mit uns als picture alliance zusammen oder noch länger mit verschiedenen Teilen der dpa-Gruppe. Mit unseren klassischen Angeboten, wie Bildauswahl, Recherche oder Auftragsproduktionen, wollen wir sie bei ihrer Arbeit bestmöglich unterstützen. So sichten wir z.B. jeden Tag 30.000 aktuelle und historische Bilder und stellen die besten in Bildpaketen in unserem Portal zur Verfügung - das spart unseren Kunden Zeit und liefert Ideen für neue Projekte.
Uns geht es jeden Tag darum, Geschichten weiter zu denken, zu überlegen, wie ein Thema bebildert werden könnte, früh auf Trends zu reagieren. Wenn wir Impulsgeber für Redaktionen sein dürfen, Ideen und neue Perspektiven einbringen – auch jenseits der Bilder - dann schaffen wir Mehrwert für unsere Kunden.
Sehr wichtig ist uns aber natürlich auch die Qualität unseres Angebots und - wo immer es möglich ist – Exklusivität. So hat man in Deutschland z.B. nur über uns Zugriff auf AP Images oder das dpa-Archiv. Wir müssen aber auch eine möglichst umfassende Themenabdeckung anbieten. Wir haben die unterschiedlichsten Kunden – da unterscheiden sich die Anforderungen an den Content teils erheblich.
Kundenbindung bedeutet heute aber noch viel mehr: Kreativer Austausch inhaltlich und auch wirtschaftlich. Wir wollen mit unseren Kunden gemeinsam die Chancen und auch Hürden im visuellen Zeitalter ausloten. Wie können wir gemeinsam Geld verdienen? Wo ist noch Platz für neue Angebote, neue Werbekunden, spannende Plattformen? Was wissen wir über die Nutzer, deren Informationswünsche und die sich verändernde Mediennutzung? Wie wollen und müssen sich Medien und auch Agenturen verändern.
- Pictorial: Aber bestimmte Dinge tun Sie auch nicht! Sie bieten mittlerweile zwar auch über Partner Motive mit Royalty free-Lizenzen an - berichtigen Sie mich bitte, wenn ich da irre - aber beileibe kein Microstock. Was hält Sie von einer solchen Kooperation - noch? - ab?
Genz: Eine solche Kooperation ergibt für uns einen Sinn, wenn wir etwas neues Schaffen und nicht „einfach“ einen existierenden Datenbestand in unsere Datenbank aufnehmen. Die picture alliance hat schon immer Wert darauf gelegt, einen Unterschied zu machen und dies wird auch von den Kunden goutiert. Wir sprechen regelmäßig mit ihnen über das Thema und ihre Bedürfnisse. Das Thema wird uns weiter begleiten.
- Pictorial: Frau Busch, Sie kamen ja gerade rechtzeitig nach Frankfurt, um das neue Portal mit zu entwickeln, das jetzt online ist. Was dürfen wir da an Neuem erwarten? Was war Ihr Hauptaugenmerk beim Relaunch?
Busch: Das weltweite tägliche Angebot an vor allem redaktionellen Bildern ist riesig. Da kommt es für uns besonders darauf an, die besten Bilder schnell zu haben, diese gut zu präsentieren und auffindbar zu machen, um so die eigenen Zielgruppen exakt ihren Bedürfnissen entsprechend abzuholen.
Technologien wie die künstliche Intelligenz bieten uns hier ganz neue Möglichkeiten Bilder such-, sicht- und vergleichbar zu machen. Mit dem Einsatz unseres modernen Portals schaffen wir thematische Bühnen für alle visuellen Bedürfnisse unserer Zeit. Hiermit können wir auch unsere unvergleichbaren Schätze aus unserem Archiv sehr repräsentabel zugänglich machen.
- Pictorial: Wollen wir zurück, ein bisschen in die Geschichte gehen? War ich doch - sozusagen als Zeitzeuge - auf die Gründungs-Party der picture alliance im Jahr 2002 gestolpert. Es war die Ära, in der die Europäer aufwachten, glaubten, gegen die Big Player aus Amerika nur in Kooperationen bestehen zu können. 5 Agenturen waren es bei der picture alliance zum Start, man wollte jeweils die deutschen Marktführer in ihren jeweiligen Segmenten auf einer Liefer- und Abrechnungs-Plattform vereinen. Also: Viele - im internationalen Maßstab gerechnet - Kleine gegen zwei oder drei Große: HEYA, wie erscheint Ihnen das heute, im Rückblick betrachtet?
Genz: Bündnisse und Allianzen sind wichtig - damals wie heute. Für die picture alliance und ihre Partner war es ein großer Schritt, dem viele kleine folgten. Aus diesen Anfängen haben sich für uns lange, vertrauensvolle Kooperationen entwickelt, die bis heute Bestand haben.
Auch wenn wir heute nicht mehr in der Logik Die versus Wir denken, so hat die picture alliance für den deutschen Markt doch Maßstäbe gesetzt und einen Marktplatz geschaffen, der mit seinem Angebot und seinen Dienstleistungen einmalig ist. Gerade als Teil der dpa bieten wir nicht nur Bilder an, sondern produzieren sie auch, wissen was wann wo passiert, haben Zugang zu Informationen und zur multimedialen Themenwelt der dpa-Gruppe und können so ganz neue Ideen mit unseren Kunden gemeinsam entwickeln. Die picture alliance wurde gegründet um es den Kunden leichter zu machen. Wenn uns dies in den letzten 18 Jahren gelungen ist und weiterhin gelingt, dann werden wir noch viel gemeinsam erreichen.
- Pictorial: Mal so gesagt: Die Situation damals war auch, dass der dpa mit diesem Projekt sehr viel Misstrauen entgegen schlug! Die Bedrohung durch Corbis und Getty sah man zwar, aber die deutschen Agenturen - vornehmlich im Stock-Fotografie-Bereich - wollten sich im Gegenzug "nicht von der dpa fressen lassen". Man vermutete "grundsätzliche Interessenskonflikte". Auch der Agenturverband BVPA verhielt sich - ich mag nicht gerne sagen: feindselig, aber doch - sehr bedeckt.
Busch: Erinnern Sie sich, was die Vorbehalte gegen die picture alliance damals waren?
- Pictorial: Ach, das waren im Wesentlichen zwei Gründe: Die dpa war der unbestrittene Marktführer unter den deutschen Pressebildagenturen. Aber sie war nicht die Einzige! Die anderen im Agenturverband organisierten Unternehmen, standen natürlich in einem direkten Konkurrenzverhältnis. Und jetzt will der Platzhirsch Presse auch noch in den Bereich der Stock-Fotografie - Historisches, Reise, Naturfotografie, People etc. - eindringen. Das sorgte - sagen wir es sanft - für Irritation. Der zweite Grund lag in der Eigentümerstruktur der dpa, die ja den Verlagen gehört. Man wollte einer Institution, die den Haupt-Kunden der Agenturen gehört, nicht gerne seine Bilder geben. Man sah sich eben auf der anderen Seite der Theke. Das mag uns heute fremd und irrational erscheinen, war aber zur Zeit der Geburtswehen der picture alliance ein oft und heftig vorgebrachtes Argument.
Genz: Danke für die Einordnung, die es sehr gut beschreibt: Heute wären uns derartige Vorbehalte fremd. Als Bildbranche haben wir in den letzten 20 Jahren eine Transformation erlebt, die weder im Bereich Text noch Video so massiv waren wie für das Genre Foto. Und wir haben viel gelernt und uns angepasst. Dazu gehörte auch die Gründung von Marktplätzen und Aggregatoren. Nach 18 Jahren hat die picture alliance sich als starker, verlässlicher Partner erwiesen. Wichtig war uns dabei immer, die Sorgen unserer Partner ernst zu nehmen und ihre Wünsche so gut wie möglich zu berücksichtigen. Heute verlassen sich mehr als 300 nationale und internationale Partner auf uns und belegen, dass wir die Vorbehalte gut gemanagt haben.
Pictorial: Über den Launch des neuen Portals haben wir ja schon gesprochen. Was haben Sie sonst noch in der Pipeline? Können und wollen Sie uns weiteres zu den Plänen der nächsten Zeit sagen?
Busch: Natürlich haben wir Pläne J. Unsere gesamte dpa-Gruppe ist im Auf- und Umbruch befindlich, so wie unsere Märkte auch. Die picture alliance bildet innerhalb der Gruppe den visuellen Marktplatz. Das heißt: Wir sind sehr viel mehr als nur ein Marktplatz für Bilder. Wir sind integraler Bestandteil der dpa-ID, dem zentralen Marktplatz für alle Services und Tools der dpa und darüber hinaus.
Außerdem ist es für uns wichtig, dass der Wert des Bildes Bestand hat. Als Tochter einer Nachrichtenagentur wissen wir, wie wichtig es ist, dass die professionelle, authentische Fotografie auch aus gesellschaftspolitischer Perspektive in Zukunft ihren Preis behält.
Genz: Meine Kollegin hat es sehr gut beschrieben und ich bin dankbar Petra Busch an meiner Seite zu wissen. Die Entwicklung und Herausforderungen der Bild- und Medienbranche sind groß. Gemeinsam werden wir als Partner unserer Kunden mit vielen Ideen neue Geschäftsfelder entwickeln. Dank unserer neuen Datenbank und moderner Technologien – bspw. automatischer Bilderkennung – können wir viel spezifischer auswählen und neue Produkte entwickeln. Wir erheben mehr Daten denn je und entwickeln so datengestützt Ideen.
- Pictorial: Eine letzte Frage, die mich als Beobachter der Bilderbranche immer interessiert hat, auch und weil ich keine klare Antwort weiß: Wie kam es, dass es den Agenturen und Fotografen seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gelungen ist, den Wert ihres Produktes zu steigern? Es werden zwar immer mehr Bilder eingesetzt, aber der Wert des Einzelbildes sinkt. In anderen Bereichen der Unterhaltungs- und Medienindustrie ist dieser Verfall nicht gegeben. Nehmen wir die Ablösesummen bei Fußballspielern. Oder die Erträge bei Kino-Blockbustern und Influencern. Wo liegt der Punkt, ab dem die Bilderbranche sozusagen falsch abgebogen ist?
Busch: Ich komme auf die Blumenwiese zurück. Im Zuge der Digitalisierung ist es einfacher geworden, Bilder aus der ganzen Welt zu produzieren und auf digitalen Plattformen auszuspielen. Der Markt der Bildproduzenten ist sehr fragmentiert und bspw. Stockfotos sind als ubiquitäre Waren zu betrachten. Es herrscht ein großer Wettbewerb und die Ware Bild wird immer austauschbarer. Dadurch sinkt der Preis des einzelnen Bildes. Im Gegensatz zum Bild, trägt bspw. die Musik noch immer die Charakteristiken des Musikers. Das ist bei Fotos sehr viel schwieriger herauszustellen.
Ich denke, dass auch in anderen Branchen proportional zum Absatz weniger Geld verdient wird als noch in der Vergangenheit. Die Erlöse, die ein Musiker heute über eine Plattform wie Spotify erzielt, mögen größer sein als seinerzeit über den Verkauf von Schallplatten und CDs, vermutlich aber nur deswegen, weil durch die Digitalisierung größere Zielgruppen einfacher erschlossen werden können als in der Vergangenheit. Die Steigerung der Erlöse kommt daher von einer gesteigerten Anzahl an Nutzern, denen eine Dienstleistung in der Fläche einfacher und günstiger zur Verfügung gestellt werden kann.
Genz: Ich denke, wir haben es mit einer klassischen Angebot- und Nachfrage- Situation zu tun. Ich würde auch nochmal unterscheiden zwischen Wert und Zahlungsbereitschaft – wir sehen ja, wie ein Bild von Bernie Sanders um die Welt gehen kann und in der Aufmerksamkeitsökonomie durchaus seinen Wert hat. Für uns wird es die Herausforderung der nächsten Jahre sein, diesen Wert zu monetarisieren.
Und es gibt viele Beispiele für Agenturen, denen es trotz Sinken des Einzelbildpreises gelingt, ihren Platz zu finden und mit neuen Ideen neue Märkte zu erschließen.
- Frau Busch, Herr Genz: Vielen Dank für das Gespräch! Und der picture alliance beste Wünsche für die nächsten 18 Jahre.
Bilder:
Bahnradrennen - Olympische Spiele Rio, 2016. Foto: picture alliance/ dpa/ Dean Lewis
Luftaufnahme - Mädchen am Swimmingpool. Foto: picture alliance/ Amazing Aerial Agency/ Paul Prescott
Friedrich Merz (l) und Armin Laschet beim Online-Talk. Foto: picture alliance/ dpa/ Michael Kappeler
Saumfingerechse. Foto: picture alliance/ blickwinkel/ G. Fischer
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